Nichtwissen ist Macht

Wissen ist Macht – wer kennt diesen Spruch nicht. Aber was ist mit Nichtwissen? Wissen, Erkenntnis und Weisheit sind Begriffe, die als erstrebenswert gelten. Wir leben in einer sogenannten „Wissensgesellschaft“, wie kann in dieser Nichtwissen relevant sein?

Pränatale Diagnostik ist heute selbstverständlich: Bereits in den ersten Wochen kann die Frauenärztin feststellen, ob mein Kind behindert sein wird. Aber möchte ich das wirklich wissen? Oft werden Frauen in einem solchen Fall sogar noch dazu ermutigt, abzutreiben. Vielleicht wäre es für alle Beteiligten besser, sie wüßten es nicht?

In Bewerbungsverfahren sind es oftmals nicht die Kompetenzen und Fähigkeiten, die die Wahl der passenden Mitarbeiterin beeinflussen, sondern ein vermeintlicher ausländischer Name oder gar das Geschlecht einer Arbeitssuchenden. Demnach ist auch in der Berufswelt eine bewußte Ignoranz erforderlich, um solche Vorurteile zu überwinden.

Ein weiteres positives Beispiel: Wir leben mittlerweile im „digitalen Zeitalter“, nie war es einfacher, Daten zu erheben. Einige Menschen zeichnen jeden ihrer Schritte, jede Mahlzeit, jedes Vorkommnis auf. Egal ob Supermarkt, Fitness-App oder Facebook, überall werden in einem Umfang Daten erhoben, die präzise Aussagen über die Person ermöglichen. Entsprechende Forscher können Personen sogar besser einschätzen als es die eigene Partnerin könne. Überspitzt gesagt, ist der sogenannte „gläserne Mensch“ heute längst Wirklichkeit geworden – freiwillig! Einzig „gläsern“ müsste man korrekterweise in „glasfasern“ abändern. Auf staatlicher Ebene finden sich hinsichtlich dieser Problematik gesetzliche Regelungen, die das Nichtwissen privilegieren: Datenschutz ist nichts anderes, als die Garantie für den Einzelnen, dass Institutionen nicht alles über jemanden wissen dürfen. Die Privatsphäre ist ein geschützter Raum, in dem neugierige Blicke nichts zu suchen haben.

Nichtwissen kann jedoch auch für weniger gute Entwicklungen verantwortlich gemacht werden: Contergan hieß das Medikament, das Schlafproblemen von Schwangeren entgegenwirken sollte. Von 1957 bis 1961 war das Mittel auf dem Markt und verursachte schwere Beeinträchtigungen bei den ungeborenen Kindern. Der Contergan-Skandal in Deutschland ist ein erschreckendes Beispiel für Nebenwirkungen, die nie auszuschließen sind. Auch umfangreiche Studien können niemals alle potentiellen Variablen in Betracht ziehen, von Tierversuchen ganz zu schweigen, die nicht auf den Menschen übertragbar sind.

Auch Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW) wurden zunächst nur als vorteilhafte Errungenschaft wahrgenommen; erst Jahrzehnte später erkannte man, welchen Schaden diese Treibgase in unserer Atmosphäre anrichten. Kurzum: Der technische Fortschritt bringt nicht nur Erleichterungen mit sich, je komplexer eine Technik ist, umso mehr Risiken müssen mitunter auch in Kauf genommen werden. Atomkraft bzw. Atommüll beispielsweise wird uns noch eine „Ewigkeit“ beschäftigen, um nicht zu sagen bedrohen.

Die Liste ließe sich wohl noch lange fortsetzen, auch der Klimawandel und das Insektensterben können hierbei genannt werden. Skeptiker führen in diesen Zusammenhängen öfters an, dass z.B. der Klimawandel / das Insektensterben nicht eindeutig nachweisbar seien und operieren somit mit Nichtwissen als Argument („argumentum ad ignorantiam„) für das (unerträgliche) Nichtstun – ein logischer Fehlschluss! Die eigene Ignoranz als fadenscheinige (und vor allem bequeme) Begründung dürfen wir nicht akzeptieren, wenn uns die Umwelt nicht gleichgültig ist. Dazu müssen wir nur ein kleines Gedankenexperiment anstellen: Wenn die Klimaforscher recht haben, ist es nur folgerichtig, wenn wir entsprechende Konsequenzen ziehen und unser Verhalten ändern, wenn sie Unrecht haben, ist es zwar vergebliche Mühe, aber nichts Schädliches. Übrigens: Laut IPCC (Intergovernmental Panel on Climate Change – der sog. „Weltklimarat“) ist es zu 95 – 100 % wahrscheinlich, dass der Mensch den rasenden Klimawandel verursacht.

Die Facetten und Dimensionen von Nichtwissen sind vielfältig und werden seit einigen Jahren erforscht: Sowohl als gewinnbringende Ressource als auch Gefahr kann Ignoranz beobachtet werden. Es ist richtig und wichtig, dass wir die Aufmerksamkeit auf das Nichtwissen lenken und längst überfällig.

Nichtwissen sei nicht als das Gegenteil von Wissen aufzufassen, als ein Fehlen von Wissen, sondern beide Phänomene seien Teil eines Kontinuums (vgl. Stehr, Nico/Adolf, Marian, Ist Wissen Macht? Erkenntnisse über Wissen, 1. Aufl., Weilerswist 2015. S. 80). Weniger ein Besitztum, mehr ein Handeln sei Nichtwissen; in der Wissenschaft ist das Eingeständnis des Unwissens oft der Beginn einer Untersuchung und somit erkenntnisleitend. „Ich weiß, dass ich nichts weiß“, lautet oft das berühmte angebliche Diktum des Sokrates, das eigentlich lauten müsste „Ich weiß, dass ich nicht weiß“ und tatsächlich in ersterem Wortlaut nicht in den überlieferten Schriften zu finden ist. In wenigen Worten ging es Sokrates darum, die Einsicht in die Grenzen des eigenen Wissens zu befördern.

Nur wer erkennt, dass das eigene Wissen begrenzt ist und stets skeptisch bleibt, strebt (idealerweise) weiter nach Erkenntnis, nur Dumme glauben alles und alles zu wissen. Und Glauben ist nicht Wissen.

 

Literaturtipps:

Bailey, Alison, Strategic Ignorance, in: S. Sullivan/N. Tuana (Hrsg.), Race and Epistemologies of Ignorance, Albany/NY 2007.

Detten, Roderich von/Faber, Fenn/Bemmann, Martin (Hgg.), Unberechenbare Umwelt. Zum Umgang mit Unsicherheit und Nicht-Wissen, Wiesbaden 2013.

Gross, Matthias/McGoey, Linsey (Hgg.), Routledge International Handbook of Ignorance Studies (Routledge International Handbooks Series), London 2015.

High, Casey/Kelly, Ann H./Mair, Jonathan (Hgg.), The anthropology of ignorance. An ethnographic approach (Culture, mind, and society), 1. Aufl., New York NY 2012.

McGoey, Linsey, „Vom Nutzen und Nachteil strategischen Nichtwissens“, in: Peter Wehling (Hg.), Vom Nutzen des Nichtwissens. Sozial- und kulturwissenschaftliche Perspektiven, Bielefeld 2015, 53–74.

Mills, Charles W., White Ignorance, in: Proctor/Schiebinger (Hrsg.), Agnotology, The Making and Unmaking of Ignorance, Stanford 2008, S. 230 – 249.

Oreskes, Naomi/Conway, Erik M., Merchants of doubt. How a handful of scientists obscured the truth on issues from tobacco smoke to global warming, 1. Aufl., New York/Berlin/London 2010.

Soentgen, Jens: Argumentieren mit Nichtwissen, in: Wehling/Böschen (Hrsg.), Nichtwissenskulturen und Nichtwissensdiskurse. Über den Umgang mit Nichtwissen in Wissenschaften und Öffentlichkeit, Baden-Baden 2015, S. 123 – 160.

Twellmann, Marcus (Hg.), Nichtwissen als Ressource, 1. Aufl., Baden-Baden 2014.

Wehling, Peter, Im Schatten des Wissens? Perspektiven der Soziologie des Nichtwissens, Konstanz 2006.

Wehling, Peter: Soziale Praktiken des Nichtwissens, APuZ 18 – 20/2013, Online verfügbar: http://www.bpb.de/apuz/158664/soziale-praktiken-des-nichtwissens .

Welttierschutztag 2017

Heute ist Welttierschutztag, seit 1925 findet dieser Tag zu Ehren von Franz von Assisi statt. Nach ihm hat sich der aktuelle Papst Franziskus benannt.

Nicht ohne Grund, egal wohin man blickt, ob auf die heimischen Äcker oder zu Elefanten in Afrika: Überall sind die Tiere bedroht und brauchen unsere Unterstützung!

Daher möchte ich heute allen Menschen danken, die sich für Tiere einsetzen!

Welttierschutztag 2017

Es gibt so viele Möglichkeiten, sich für Tiere einzusetzen, jeder Tag bietet die Chance dazu. Selbst wenn Du noch nichts konkret tust, kannst Du ab jetzt umdenken, es ist nie zu spät. Du musst auch nicht alles ändern, es reicht doch schon, wenn Du einen ersten Schritt unternimmst und kein Billigfleisch mehr einkaufst. Oder auch nur weniger Fleisch isst, dafür aber welches in Demeter-Qualität (strengstes Bio-Siegel). Oder Du die Geranien in den Kompost wirfst und lieber insekten- und bienenfreundliche Pflanzen kaufst.

„Wann werden alle Tiere schießen lernen? Wann wird es für jeden Jäger gefährlich werden zu schießen? Wann werden Tiere wie Rebellen Gewehre stehlen, beiseite schaffen und sich im Schießen üben? Horntiere hätten es besonders gut, aber auch mit Zehen und mit Zähnen ließe sich auf Jäger schießen. Und wenn unschuldige Menschen dabei zu Schaden kämen? Aber wieviel unschuldige Tiere…!“ (Elias Canetti, 1966, aus: Über Tiere, Fischer 2017, S. 44)

Man muss natürlich nicht so radikal wie Canetti denken, es würde ja „reichen“, wenn Tiere nicht mehr mißhandelt und ausgebeutet werden würden…Aber das wird nicht machbar sein, wenn wir nicht die Stimme für sie erheben.

Bitte gib nicht auf! #gutmensch

Bitte gib nicht auf! Ich weiß, es ist hart. Ich weiß, es scheint oft sinnlos. Ich weiß, Du fühlst Dich oft alleine. Unter all diesen Ignoranten, Gutmensch-Hassern und selfiestickschwenkenden Egophilen.

Aber Du bist die einzige Hoffnung, die wir noch haben. In all dem Elend, das uns tagtäglich über diverse Mattscheiben oder Displays anspringt, bist Du ein Hoffnungsträger. Ein Leuchtturm. In Momenten, in denen ich nahe der Verzweiflung bin, lese ich von Dir und weiß, es gibt sie noch. Die sogenannten Gutmenschen. Es lohnt sich immer, sich dem Leid und der Not zu widersetzen und ist alles, nur nicht dumm. Im Gegenteil: Es ist das Wunderbarste und Klügste, was wir tun können, wir als sogenannte außergewöhnlich vernunftbegabte Wesen. Homo sapiens, das ist der weise Mensch, wie er sich selbst einst nannte, es muss ein Wunschdenken gewesen sein, das hier zum Ausdruck kam, wie einige unserer Handlungen nahelegen.

Unter 100 Meldungen, die von Gewalt, Terror und Unmenschlichkeit zeugen, findet sich gefühlt nur eine Meldung von Menschlichkeit und Mitgefühl – aber genau diese eine besitzt eine beinahe magische Macht, die die anderen 100, und wenn auch nur kurz, verblassen lassen und erträglicher machen kann. Wir brauchen Dich daher mehr als alles andere!

Du kämpfst für eine gute Sache und glaubst, es zeigt keine Wirkung? Manchmal muss es nicht die große oder sichtbare Veränderung sein, manchmal wirkt „das Gute“ im Verborgenen und Kleinen. Manchmal benötigt es einfach etwas Zeit, wirklich nachhaltige Veränderungen sind oft nicht sofort sichtbar, sondern reifen wie ein guter Käse oder Wein. Wichtig ist nur, dass Du daran glaubst, vertraue auf den Prozess. Der Rest kommt oft von alleine und geschieht im Unbewußten.

Auch wenn sich Dir keine Wirkung zeigt, kann es sein, dass Du z.B. mich neue Hoffnung und Kraft schöpfen lässt, obwohl Du es nicht mitbekommst. Also warte bitte nicht auf ein Zeichen und sei dann nicht enttäuscht, es gibt keinen Grund dazu…

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Wer jetzt meint, dies wäre esoterischer Quatsch oder naiv, der irrt. Leute, die verächtlich über Gutmenschen schimpfen, haben vielleicht schon die ein oder andere Enttäuschung erlebt. Manche von ihnen haben wiederum ein Menschenbild, das die Fremden pauschal verurteilt. Hinter all dem steckt aber Angst: Angst, wieder verletzt zu werden; Angst, benachteiligt zu werden. Aber dieses Bild ist sowieso schief und ungenau, denn es suggeriert, dass unsere Lieben uns nie enttäuschen, uns nie übervorteilen wollen, uns nie verletzen. Natürlich nie in einem Ausmaß, das wir nicht verkraften könnten, und wenn doch, dann trennen sich eben mal gemeinsame Wege. So ist das Leben. Aber im Kleinen passiert es doch ständig, dass wir unangenehme Aufgaben Anderen überlassen. Die Kaffeemaschine im Büro, die nach der Benutzung nicht gesäubert wird; der Müll, der achtlos in den Grünstreifen geworfen wird; der Wohnungsputz in der WG, der so lange aufgeschoben wird, bis der/die Reinlichste aufgibt und die Ärmel hochkrempelt. Der achtlos hingeworfene Satz, der mich verletzt und kränkt, obwohl er/sie es doch besser wissen müßte.

Dann aber gibt es noch diese schönen Momente, in denen Du in der Kaffeeküche versumpfst, weil Du Dich mit der sympathischen Kollegin unterhältst und darüber die Zeit vergißt. Dieser Moment, wenn Dein WG-Mitbewohner etwas Leckeres gekocht hat und Dich nach einem anstrengenden Tag einlädt. Dieser Moment, wenn Du unerwartet ein ernst gemeintes Kompliment erhältst, ein offenes Lächeln von einem Fremden, der Dir seinen Platz in der überfüllten Bahn anbietet. Dies sind die wahren Helden, die kein Dankeschön einfordern, sondern um das Auf und Ab wissen und ihren Teil dazu beitragen möchten, dass die Talfahrt nie zu lange andauert.

Viel zu oft fordern wir nur ein und wollen unsere Ansprüche erfüllt bekommen. Die höchsten Ansprüche sollen möglichst nichts kosten und bitteschön sofort befriedigt werden. Diese Konsumhaltung betrifft nahezu jeden Lebensbereich, alles muss schön sein, toll sein, Spaß machen. „Ästhetische“ Menschen ruinieren die Welt. Ohne Chemiekeulen sind Gurken hin und wieder angefressen oder Karotten verwachsen und erfordern mehr Mühe beim Schälen. Dass der Geschmack der „häßlichen“ Stücke die Arbeit mehr als belohnt, ist da zweitrangig.

Die Schlimmsten sind diejenigen, die sagen, es hat ja doch keinen Sinn, etwas ändern zu wollen. Ihnen ist bewußt, dass etwas falsch läuft, sie sind aber zu bequem, zweifeln zu viel oder haben resigniert, statt die Dinge in die Hand zu nehmen. Diejenigen, denen es egal ist oder die sogar bestreiten, dass wir Probleme haben, sind sowieso nur schwer erreichbar, wenn überhaupt – sie sind erst mal zu vernachlässigen. Nichts ist alternativlos, wir können sehr wohl etwas tun. Auch kleine Schritte führen zum Ziel, wie man sagt. Nicht jeder kann alles ändern oder die ganze Welt retten, aber viele können es sehr wohl! Würde sich nichts ändern, säßen wir noch in Höhlen und würden grunzen.

Beispiel: Wildtierverbote in Zirkussen. Vor wenigen Jahrzehnten noch hat sich darüber kaum einer den Kopf zerbrochen, geschweige denn daran gestört. Dass Tiere zu unserer Unterhaltung dienen sollten, war eine stillschweigende Annahme und noch ein relativ „harmloser“ Aspekt unserer Einstellung gegenüber nicht-menschlichen Tieren, vergleicht man es mit der Massentierhaltung und der anschließenden industriemäßigen Schlachtung, um nicht zu sagen das Gemetzel. Vielen Menschen ist jetzt bewußt geworden, dass diese Art des Umgangs mit Tieren nicht vertretbar ist und möchten dies nicht weiter unterstützen. Bisher ist das Verbot nur stellenweise kommunal umgesetzt worden: Städte wie Stuttgart, Heidelberg oder Ulm stellen keine öffentlichen Flächen mehr für Zirkusse mit Wildtieren (oder wenn dann nur mit Einschränkungen) bereit. Es macht Hoffnung zu sehen, dass sich etwas tut, wenn auch nur schleppend.

Die Frage drängt sich auf: Was wäre möglich, wenn wir daran glauben würden, etwas ändern zu können und es angingen, anstatt andauernd zu zweifeln?

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„Fast acht Milliarden Menschen, doch die Menschlichkeit fehlt…“ (Sido feat. Andreas Bourani: „Astronaut“)

 

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Cat-Content oder: Die Kunst, sich nicht beirren zu lassen

Phänomen Cat Content

Das Internet wird regiert von Katzenvideos und anderem ‚Cat-Content‘, zu deutsch: „Inhalte, die Katzen thematisieren“. Es gibt mittlerweile einen entsprechenden Wikipedia-Artikel für das Phänomen; 2016 fand sogar zum ersten Mal das Internet Cat Video Festival in Düsseldorf statt; laut Wortfeld definierte der Duden (2004) ein Weblog, kurz ein Blog, als „Internettagebuch mit Katzenbildern“.

Es gibt vermutlich nicht einen Menschen, der noch nie Cat Content gesehen hat. Wie populär (und gewinnträchtig) das Phänomen ist, zeigt auch die Tatsache, dass Katzen verstärkt in Werbung als Sympathieträger dienen sollen: BonprixÜberfliegerIkea, Toyota, Top 10 bei Horizont.

Feline Prominenz, wie Grumpy Cat, Venus – The Two-Faced Cat oder Choupette Lagerfeld – Grumpy Cat wurde sogar in Wachs bei Madame Tussaud (San Francisco) und in einem Film verewigt – versammelt Massen von Fans um sich und generiert nebenbei wohl nicht unerhebliche Einnahmen.

Auch merkwürdige Reaktionen auf Salatgurken werden seuchenartig verbreitet, knapp zweistündige Videosammlungen erreichen millionenfache Klickzahlen, auf das politische Zeitgeschehen (amerikanische Präsidentenwahl) wird durch Katzenbesitzer bildstark und humorvoll rekurriert (Trump your Cat, Frisur von Trump an Katzen).

Von Katzen und Menschen

Katzen sind allgegenwärtig und universell einsetzbar: Während das Internet bekanntlich von kurzlebigen Hypes beherrscht wird, bleiben die Sympathieträger Katzen dagegen erstaunlich beliebt – durch die Zeiten. Ein Blick in entsprechende Publikationen zeigt, dass diese Katzen-Manie kein rein digitales Phänomen ist, sondern auch schon im Zeitalter der Hieroglyphen und Pharaonen bekannt war. Im alten Ägypten wurde die Göttin Bastet, Tochter des Sonnengottes, in Katzengestalt dargestellt. Wer Katzen tötete, soll damals selbst mit dem Ableben bestraft worden sein. Starb eine Katze im Haus, rasierte man sich die Augenbrauen ab und ließ sie einbalsamieren, berichtet Herodot (Absatz 66/67, 2. Buch).

Die christliche Verfolgung von Katzen dagegen zeigt, wie bewegt das Leben mit den Raubtieren war und wie kulturspezifisch das Phänomen ist. Im Abendland sind viele Tiere, auch Fledermäuse beispielsweise, eher Symbol für Unglück und das Böse (Gefährten des Teufels, Dracula, Vampire usw.). In Asien sind diese Tiere oftmals positiv besetzt. Maneki-neko dürfte vom Begriff her den wenigsten etwas sagen, die winkende Katze aber kennen sicher viele Leute:

Katzen in der analogen (Konsum-)Welt

Aus Japan kommen immer wieder schillernde Trends, so auch Katzenbars, Hello Kitty oder ein Übersetzungsgerät für die miauenden Mitbewohner. Tierhalter mit dem entsprechenden Kleingeld können sich sogar gemeinsam betrinken, es gibt Katzen (- und auch Hundewein). Die Getränke enthalten selbstverständlich keinen Alkohol, sondern Katzenminze, womit sich Vierbeiner auf ungefährliche Weise berauschen können. Diese Beispiele als Vertreter schier unbegrenzter Konsummöglichkeiten sind sicher kein Phänomen, das auf Katzen beschränkt wäre, sondern Ausdruck der globalen Wirtschaft und den schier unbegrenzt scheinenden Wertschöpfungspotenzialen. Wovon Alchimisten zu allen Zeiten geträumt hatten – der Umwandlung wertlosen Metalls zu Gold – scheint nun Realität geworden zu sein.

Die Kunst, sich nicht beirren zu lassen

Der asiatische Aberglaube, Katzen brächten Wohlstand (Maneki-neko), dürfte sich für die jeweiligen Unternehmer – also z.B. dem „Frauchen“ von Grumpy Cat (rund 100 Millionen Dollar sollen es sein) – bewahrheitet haben. Frühere (analoge) Unternehmensberater oder Kreditgeber hätten insgeheim wohl die psychische Gesundheit von solchen Menschen angezweifelt. Bei vielen Pionieren findet sich zu Beginn eine wahnwitzig wirkende Idee, die gegen Widerstände aller Art verteidigt werden muss. Bei digitalen Hypes dagegen wirkt es oft wie ein Selbstläufer, der nur eine gewisse Schwelle erreichen muss, um vollends einzuschlagen.

Für uns Konsumenten gilt es dagegen, ungeachtet der erschlagenden Masse an Cat Content, nicht das Wesentliche aus den Augen zu verlieren.

Beppo posiert wie ein Profi

Beppo posiert wie ein Profi

Ursachenforschung

Warum sind die Leute bloß so verrückt nach Katzen? Beim Handelsblatt argumentiert man so: „Im Netz erzielen Katzenvideos oft Millionenaufrufe. Kein Wunder: fast 13 Millionen Katzen haben deutsche Bürger bei sich aufgenommen. Das erklärt auch den Social-Media-Hype um so manch eine Katze.“ Aha. Erklärt das überhaupt etwas? Leute mögen Katzen im Netz, weil sie welche daheim haben? Beim Lokalkompass kommt der Autor zum Schluß, dass Cat Content für einen hohen Aktivierungsgrad sorge, also viele positive Gefühle oder kurz Wohlbefinden. Der Autor von Horizont befragte einen Medienpsychologen, der Katzen mit Schokolade und Kindern vergleicht: Beides mögen Menschen instinktiv, im Internet könne man Cat Content sich häppchenweise einverleiben (sogenanntes Mood Management wird also betrieben). Das klingt schon eher plausibel, wie ich finde. Und N24 bringt es für mich kurz und knapp auf den Punkt: „Wieso gerade Katzen? Weil sie anders sind als alle anderen Tiere“. Das Kindchenschema allein reiche nicht aus, das hätten andere Tiere ja auch zu bieten, wie  nachvollziehbar argumentiert wird. Katzen seien nicht so „langweilig“ wie andere Haustiere und hätten viele erstaunliche Eigenschaften. Das übliche Pokerface von Katzen ist nur selten durchschaubar, daher seien solche „seltenen Momente“ kostbar. Im Netz finden sich aber meiner Erfahrung nach nicht nur aussergewöhnliche Videos, sondern ganz oft auch einfach alltägliches Verhalten, daher würde ich jenes Argument eher ablehnen. Das Mysterium Katze sei eine geeignete Projektionsfläche für den Menschen oder verzerrtes Spiegelbild ihrer selbst, heißt es weiter. Ja, die meisten Menschen möchten sicherlich auch unverwechselbare Charakterköpfe, frei und unabhängig sein. Hübsch, elegant und graziös sein. Mehrere Leben haben, von allen geliebt werden. Und: Den Menschen glauben machen, er beherrsche uns und nicht umgekehrt.

 

Für Katzenfans oder eigene Nachforschungen hier noch einige Links:

Cat-Content beim Hessischen Rundfunk in den 70ern

Kontrovers diskutierte Seite: Cats That Look Like Hitler!

Kunst: Katzmonauten

Misao und Fukumaru (alte Frau und ihre ungewöhnliche Katze, Fotografien von Miyoko Ihara)

Fotografien von der Katzeninsel in Japan (Fubirai)

„Bergsteigende“ Katze (englisch)

Katzenschnurren – NoiseGenerator

Zeichentrick: Simon´s Cat

Lustige Katzenbilder: lolcats

Katzenvideos mit zufälliger Musik: Procatinator

Netzkultur: Nyan Cat